Im Kern der Dinge

2021  —  Acryl

Zeit

So wandelt sie im ewig gleichen Kreise,
Die Zeit, nach ihrer alten Weise,
Auf ihrem Wege taub und blind.
Das unbefangene Menschenkind
Erwartet stets vom nächsten Augenblick
Ein unverhofftes seltsam neues Glück.
Die Sonne geht und kehret wieder,
Kommt Mond und sinkt die Nacht hernieder,
Die Stunden die Wochen abwärts leiten,
Die Wochen bringen die Jahreszeiten.
Von aussen nichts sich je erneut.
In dir trägst du die wechselnde Zeit,
In dir nur Glück und Begebenheit!

Ludwig Tieck


Nach der „Initialisierung“ für die Rakelei mit dem Bild GROSSSTADT 2020 folgte nun ein gänzlich anders aufgebautes Werk, das aber auch groß sein sollte, immerhin 120 x 120 cm. War ich doch beim ersten Rakelbild gänzlich ohne Vorbereitung und somit quasi „planlos“ vorgegangen, rein intuitiv wie in einem Rausch der kräftigen Acrylfarben, hatte ich dieses Mal ein mehr geometrisches Bild im Sinne und auch diverse Skizzen dazu schon angefertigt. Insbesondere reizte mich, nicht nur vertikal oder horizontal zu rakeln, sondern auch eine Kreisstruktur mit dem Rakel zu gestalten – ein Unding war dies zunächst in den Augen des erfahrenen Dozenten und Künstlers Be’shan.

Von dem Bildzentrum ausgehend – dies hatte ich schon zum Kurs zu Hause vorbereitet – befestigte ich mit einer Schnur einen flachen Rakel, versah ihn mit Acrylfarbe, zog ihn rotierend über die Leinwand und stellte fest, daß die Farbe niemals für eine komplette Kreisumdrehung reichte. Also folgte die Planänderung und sogleich der Entschluß, in Viertelkreisen vorzugehen und das gelang dann relativ problemlos.

Zuvor hatte ich aber schon den Untergrund gemäß dem üblichen Vorgehen beim Rakeln mit verschiedenen, vorgeplanten Farbschichten bedeckt, dann ganz spontan und abweichend von den zuvor angelegten Skizzen zwei Diagonalen im Stempeldruck aufgesetzt. Dies sollte die Anlage von Viertelkreisen wesentlich erleichtern – eine unerwartete Hilfestellung.

Mit feinen neonfarbenen Linien ließen sich Asymmetrien optisch kaschieren und erst zum Schluß wurde klar, daß die Mitte des Bildes mit den gekreuzten Diagonalen einen fehlenden „Kern“ hatte, etwas das Auge des Betrachters magisch Anziehendes. Es dauerte Wochen, bis bei mir „der Groschen fiel“: keine rundliche Struktur, die dem großen Kreis entspräche, sondern ein kontrastierendes Rechteck und dies sollte auf dem Kopf stehen und dank metallischem Kunstgold irgendwie mystisch leuchten.

Workshop Rakeltechnik in Hamburg 2021 (YouTube-Video)