Stufen
„Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.“
Hermann Hesse, 1943
Polychromer Holzschnitt, nur eine Platte, japanische Tusche auf Birnenvollholz, japanisches Washi, rückseitig nachkoloriert (Ura zai shiki-Technik), Blattformat 100 x 50 cm (B x H)
Die Entstehungsgeschichte dieser Arbeit darf ich rückblickend durchaus als „turbulent“ bezeichnen: thematisch auslösend war die eindrucksvolle Aquatintaradierung „Philosoph“ (aus der Serie „Vom Tode, zweiter Teil, Opus XI“, 1898) des deutschen Künstlers Max Klinger. Auf den ersten Blick schon war ich absolut fasziniert von der Darstellung, sah in ihr eigentlich eine „Seele“ – die transparente Gestalt – im Begriff den Körper zu verlassen, rechts im Bild. Die unterliegende Mädchengestalt übersah ich dabei schlicht … da hatte sich Klinger sicher seine eigene, vermutlich ganz andere Interpretation!
Kurzum, die Bildidee einer den Körper verlassenden Seele wollte ich unbedingt in die reduktiv-expressive Firm eines Holzschnittes übertragen, modifiziert und erweitert um einen „seelenlosen“ Raum und danach suchte ich eine Holzbohle aus abgelagertem Birnenstamm aus. Die primäre Bildstruktur übernahm ich dabei aus der Klingerschen Radierung, arbeitete ornamentale Strukturen ein und folgte der Holzstruktur zur Umsetzung der Idee eines „Nichts“, eines Lebens- und seelenlosen Raumes und da bot sich ein Holzteil an, der mehrere irreguläre Risse in sich trug.
Im ersten Entwurf war das Holzteil mit den Rißstrukturen am linken Bildrand. Dorthinein wollte ich das „Nichts“ interpretieren, in das die scheidende Seele schließt aufgeht. Ergo war der ursprüngliche Bildtitel „ECCE HOMO – wenn die Seele den Körper verläßt“.
Nach Diskussion mit Kunstliebhabern im engsten Kreise folgte ich dem radikalen Vorschlag, doch eine komplette „menschliche Lebensreise“ abzubilden, also dem Beginn „aus dem Nichts“ und dem Ende „in das Nichts“ – für jenseitig Denkende aber vielleicht befremdlich.
Die Umsetzung zu einem Zyklus bedingte jedoch den Umbau der Druckplatte, ein „Eingriff“, den ich bisher noch nie unternommen hatte – siehe untenstehende Bilder. Nun folgt also der Druckstock der Bildidee, und zwar tiefgreifend: Rechts sei das entstehende Leben „aus dem Nichts“, dann der noch vitale Körper, dargestellt mit dem rötlichen Farbton, interpretiert. Mittig dann die immaterielle „Seele“ farblos transparent (ich habe mich doch gegen das zarte Violett entschieden, auch wenn diese Farbe metaphysische Schwingungen impliziert – nicht umsonst in der christlichen Liturgie daher vertreten) und links schlußendlich die Auflösung im „Nichts“. So konnte ich den Titel getrost auch ändern: Statt „ECCE HOMO – wenn die Seele den Körper verletzt„ in “ECCE HOMO – aus dem Nichts in das Nichts“ und damit meinem eigenen Credo auch entsprechend.
Siehe die Techniken im Detail beschrieben bei „Techniken & Tools“: