Historie und Etymologie des „Baren“

Japanische Druckwerkzeuge – ihre Geschichte

(zur zitierten Literatur siehe die Quellen ím Anhang)

Im 8. Jahrhundert, zu Zeiten der japanischen Nara-Ära, kam mit dem Buddhismus die Holzschnitt-Drucktechnik (木版画, Moku hanga) von China nach Japan. Über Jahrhunderte wurden nur religiöse Texte in Klöstern gedruckt, waren also weitgehend der Öffentlichkeit nicht zugänglich. Die Hyakumantō Darani (百万塔陀羅尼) oder „Eine Million Pagoden und Dharani-Gebete (Mantra-ähnliche indische Zaubersprüche)“ sind der älteste materielle Nachweis der Druckkunst in Japan und stammen aus den Jahren 764/770 u.Z.11, 13. Das Große Dharani-Sutra („Undefiniertes reines Licht“) war ein Holztafeldruck 11.

Der Holztafeldruck oder Blockdruck war zu dieser Zeit bereits in China das gängige Druckverfahren. Nach Europa gelangte er erst Ende des 14. Jahrhunderts 11. Für das Bedrucken des klassischen dünnen chinesischen Papiers (nur ca. 0,05 mm dick) – vermutlich schon vor dem Beginn unserer Zeitrechnung in China erfunden – aus der Rinde des Maulbeer- oder Sandelholzbaumes war kein großer Anpressdruck vonnöten und dem entsprachen die Reibewerkzeuge aus Pferdehaar oder der weichen Haut der Hanfpalme 5, 5a (siehe auch Kapitel „Ostasiatische Drucktechniken“).

Anfang bis Mitte des 18. Jahrhunderts kam jedoch in Japan der Farbholzschnitt („Ukiyo-e“ – „Bilder der fließenden, vergänglichen Welt“) auf, der sich aus mehreren geschnittenen Holzplatten aufbaut, die nacheinander und exakt übereinander gedruckt werden mussten. Ein mehrfaches Bedrucken des gleichen Blattes setzte wiederum ein dickeres Papier („Washi“) voraus (nunmehr 0,15 mm stark) – gewonnen aus den Fasern der Rinde des Maulbeergewächses Kozo. Dieses hielt auch die für das Bedrucken mit Wasserfarben notwendige leichte Feuchte besser und länger 5, 5a.

Diese neuen Anforderungen verlangten auch ein neues Druckwerkzeug, welches gerade einen größeren lokalen Anpressdruck (Reibedruck) ermöglicht – im Gegensatz zum klassischen Druckwerkzeug aus China 5. Findige unbekannte japanische Künstlerhandwerker müssen den Druckreiber aus diesen Anforderungen heraus neu entwickelt haben – den BAREN. Geschaffen wurde er aus heimischen Materialien, die praktikabler waren als Pferdehaar oder Hanfpalme, nämlich einer geflochtenen, sehr festen Schnur aus fein geschnittenen Bambusblattstreifen, die wiederum auf eine feste Scheibe aus verklebtem Papier aufgelegt und schließlich von einem Bambusblatt umhüllt wurde – und immer noch wird (siehe Kapitel „Herstellung eines Baren“).

Wie kam der „Baren“ zu seinem Namen?

Die Idee zur Entstehung des Baren und seine reale Umsetzung sowie die Abstammung seiner Bezeichnung sind leider nicht schriftlich dokumentiert, somit stellte HILD 5 zur Entschlüsselung historische Recherchen an: Das Wort „Baren“ als Begriff wurde bereits um 1400 u. Z. schriftlich erwähnt und diente zur Bezeichnung einer Bürste, gefertigt aus den dicken und unterirdisch kriechenden Rhizomen des Wurzelstockes von Schwertliliengewächsen (Iris lactea var. chinensis; in chin. Schriftzeichen „Kanji“ 馬蓮 = ba/ren). Diese „Baren“ genannte Bürste diente der Reinigung, dem Schrubben. Als Gleitwerkzeug zum Drucken wurde diese Bürste jedoch nicht beschrieben 5.

Seiner materiellen Zusammensetzung gemäß entsprach das Ende 17. Jahrhunderts u. Z. entwickelte neuartige japanische Handdruckgerät – genannt „Baren“ – weder der üblichen Wurzelbürste noch den historischen, bisher gebrauchten Druckwerkzeugen (aus China und Korea) – so wie es auch später im ersten japanischen Sprachwörterbuch von 1875 („Dai genkai“) beschrieben wurde. Dort wird nämlich der Baren so beschrieben: „Originally this was a brush made of long, fine roots of baren, but now this word refers to a rubbing pad made of coiled bamboo sheath strings, attached to a piece of disk-shaped wood, and wrapped with bamboo sheath.“5

Es stellen sich somit die immer noch ungelösten Fragen: Wurden damals die für die alten Druckwerkzeuge gebräuchlichen, inhaltsbezogenen chinesischen Schriftzeichen (Kanji 馬楝・馬連, also „Pferd“ + „Hanfpalme“ und „Pferd“ + „Kette/Welle = ba/ren) auch zur schriftlichen wie klanglichen Bezeichnung des neuen Druckwerkzeuges einfach übernommen? Und dies sogar, obwohl das neue Druckgerät ganz anders materiell aufgebaut war? Obwohl es auch schon lange eine Schrubbbürste gleichen Sprachklangs gab, die nach einem Irisgewächs benannt war und mit den gleichen Kanji bezeichnet wurde (馬蓮 = ba/ren)? Oder aber weil der neue Druckreiber beim Druckvorgang als Werkzeug analog einer Bürste fest über das Papier bewegt wurde und immer noch wird? Fand also nur eine phonetische Übertragung statt, eine Übernahme des Sprachklangs halber, da ein Sinnbezug zur Verwendung des neuartigen Druckreibers bestand?

In jüngster Zeit (2014/2016) stellte M. HILD, Professorin an der Kyoto Arts and Crafts University, Japan, eine neuartige Hypothese zur Entstehung des Begriffes „Baren“ auf, also zu seiner Etymologie: Die Namensgebung „Baren“ lege phonetisch nahe, dass es dem deutschen Wort „Ballen“ entlehnt sei, und zwar zeitlich wohl im 17. Jahrhundert u.Z. 5, 5a.

Druckwerkzeuge in Europa – vor und nach Gutenberg  

Um HILDs Vermutung nachzuvollziehen, muss man ein wenig in die Geschichte der Druckkunst in Europa eintauchen, und zwar in die Zeit vor Gutenbergs Letterndruck, um einen versuchsweisen Vergleich der Druckwerkzeuge aufzustellen. Der Holzstempeldruck lässt sich ab dem 12. Jahrhundert nachweisen, also noch vor der Einführung des Papiers in Europa. Mit Druckstempeln wurden Stoffe – später aber auch Papier – bedruckt, wobei das zu bedruckende Medium unten lag und der Stempel von oben aufgelegt wurde 1, 6, 17, 18. Papier war erst ab Mitte des 13. Jahrhunderts in Italien verfügbar, erst 1389 auch in Nürnberg hergestellt 4, 6, 17, 18.

Die ältesten Holzschnitte waren sog. Einblattdrucke. Sie konnten sowohl Schrift als auch Bilder auf einer Holztafel enthalten, die von Hand auf Papier abgezogen wurde 6, 8, 11, 12, 17. Die Kolorierung erfolgte von Hand 6, 18. Sie wurden auch Blockdrucke genannt, datieren nachweislich ab Ende des 14./Anfang des 15. Jahrhunderts 1, 6, 11, 12, wurden bis 1500 auch als „Inkunabeln“ (Wiegendrucke) bezeichnet 6, 17, 18. Aus Holzblöcken wurden Texte und Darstellungen seitenverkehrt herausgeschnitten, dann diese mittels eines ledernen Ballens eingefärbt und sodann feuchtes Papier aufgelegt 6, 11, 17.

Entweder rieb man dann mit der flachen Hand (Handballen) oder einem kissenförmigen „Reiber“ aus mit Tierhaaren gefüllten Ledersäckchen ab 6, 9, 10. Das aufliegende feuchte Papier wurde aber auch mit dem Falzbein oder Bürsten als Reiber abgerieben 6, 9, 10, also durch Druck das Papier auf die eingefärbte Holzplatte gepresst, somit die Farbe vom Druckstock auf das Papier gedruckt. Dies war der Reiberdruck oder Bürstendruck, bei dem sich die Holzstrukturen in das Papier eindrückten, also ein Relief erzeugten 9. Die einzelnen Druckseiten – aus einem Block geschnitten – wurden zu einem Buchblock gebündelt: Blockbücher 11, 12, 17.

Durch die Gutenbergsche Drucktechnik mit beweglichen Lettern wurden sie zusammen mit dem Reiberdruck ab 1460 allmählich verdrängt 6, 17. Zum Einfärben der Lettersätze wurde nun ein lederner Druckerballen verwandt; die Druckerschwärze gewann man aus Ofenruß und Leinöl 17. Der Ballen bestand meist aus einem Griff – eingelassen in eine Holzplatte, auf die wiederum gepresstes Rosshaar oder Schafwolle gelegt und mittels eines Lederbezugs zu einer festen halbkugeligen Arbeitsfläche geformt war. Auch „Ledertampon“ wurde dieser Druckballen genannt 2. Dieses in Europa verwandte Einfärbegerät „Ballen“ oder auch „Druckballen“, in seiner vorgewölbten Bauform früher sicher einmal dem Begriff des anatomischen Handballens entlehnt, war nun Ende des 16. Jahrhunderts von portugiesischen, jesuitischen Missionaren nach Japan gebracht worden – zusammen mit Gutenberg-Druckmaschinen, die zum Bücherdrucken gebraucht wurden 5, 13.

Europäische Drucktechnik geht auf Reise

Die Jesuiten waren schon seit Mitte des 16. Jahrhunderts missionarisch in Japan tätig gewesen. Ihnen waren Kaufleute gefolgt, die die Epoche des Namban-Handels (jap. 南蛮貿易時代 namban bōeki jidai‚ Periode des Südbarbaren-Handels) einleiteten. Sie währte von 1543 bis zur endgültigen Vertreibung der Europäer in 1639 14. Da der missionarische Bedarf an Büchern immer größer wurde – einerseits um die Lehre zu verbreiten, andererseits, um Japanisch zu lernen – verbrachte man im Jahre 1590 aus Goa – damals portugiesische Kolonie in Indien und auf der Handelsroute gelegen – eine Druckpresse, die mit dem Typendruck-Verfahren arbeitete 5. Als hochgebildete Kleriker waren die Jesuiten damals sicherlich mit mehreren europäischen Sprachen vertraut. In ihrer Heimat Portugal war der Buchdruck auch schon Ende des 15. Jahrhunderts angekommen 13, so dass ihnen sowohl die originalen als auch die portugiesischen Werkzeugbezeichnungen sicherlich geläufig waren.

Auf den „Ballen“ (Druckballen) bezogen zeigt sich eine große sprachliche Ähnlichkeit. Die phonetische Übernahme in die japanische Sprache ergibt sich dann so:

Bola(portugiesisch)„bo ra“ (im japanischen Sprachlaut)ボラ  (in Katakana geschrieben)
Balón(spanisch)„ba ro“バロン
Bal(niederländisch)„ba ru“バル
Ballen(deutsch)„ba re n“バレン

Zu dieser Zeit (Ende 16. Jahrhundert) hatte aber schon seit über hundert Jahren der Letterndruck mit den Gutenberg-Pressen den Reibedruck abgelöst. Es ist daher fraglich, ob Druckreiber doch noch von den Missionaren importiert und benutzt wurden, wohl aber gewiss Druckballen. Diese wurden ja zum Einfärben der Druckstöcke nach wie vor gebraucht. Ob Druckreiber aber noch zum Abreiben illustrierender Holzschnittblöcke tatsächlich verwandt und ob diese nicht mit „Reiber“, sondern auch als nichtfärbende Geräte auch „Ballen“ benannt wurden, muss offen bleiben. Aus sprachlicher Nähe dürfte für die portugiesischen Jesuiten der Verwendung des Begriffes „Ballen“ aufgrund der phonetischen Nähe zu „Bola“ sehr vertraut gewesen und vermutlich auch synonym benutzt worden sein. Damit wurde den für sie arbeitenden japanischen Helfern in den neuen Druckereien der Begriff „Ballen“ für den Ledertampon leicht eingängig gewesen sein, gab es doch eine sehr ähnlich klingende Schrubb-/Wurzelbürste „Baren“ und die gleich lautende Bezeichnung für klassische Druckwerkzeuge aus China 5. Im Japanischen fehlt nämlich eine sprachliche Unterscheidung zwischen „l“ und „r“, und so klingen „Ballen“ und „Baren“ aufgrund ihrer lautlichen Nähe synonym 5.

Ballen, „Baren“ und Reiber

Diese Zeit, in der auch an verschiedenen Orten vorwiegend religiöse Texte gedruckt wurden, überschneidet sich mit der Zeit, in der Worte aus Fremdsprachen aktiv in die japanische Sprache aufgenommen wurden, da ausländische Waren die Aufmerksamkeit der Menschen auf sich zogen 3, 5, 14. Damals war der Trend, von europäischen Händlern und Missionaren gebrauchte, fremdländische Worte zu übernehmen, aber nicht immer streng gebunden an die ursprüngliche Bedeutung 3, 5. So wurden den chinesischen Schriftzeichen Fremdworte zugeordnet, und viele von ihnen haben sich bis heute als japanische Begriffe etabliert 5.

So wird die Hypothese HILDs erst nachvollziehbar, dass das neue japanische Druckwerkzeug „Baren“ aufgrund seiner ungefähren äußeren Ähnlichkeit und der ähnlichen Verwendung im Druckwesen mit dem deutschen Wort „Ballen“ bezeichnet worden sein könnte 5. Hier bedarf es aber einer Hinterfragung. Denn im Gegensatz zum „Baren“ war ein lederner Druckballen etwa 150 Jahre nach dem Verschwinden des Reibedrucks in Deutschland eigentlich KEIN Druckwerkzeug mehr. Allein die Optik der gewölbten Auflagefläche lässt schon erkennen, dass man mit dem Druckballen keinen kraftvollen punktuellen Andruck bewerkstelligen kann wie mit dem damals neu entstandenen, flach andrückenden Baren – eine Notwendigkeit für die subtil geschnittenen Ukiyo-e, die damals neuen mehrfarbigen Holzschnitte in Japan, die ein präzises Druckwerkzeug erforderten.

Zur Handhabung des Baren, seiner Verdeutlichung als Druckreiber, siehe das Kapitel „Baren“, ganz am Ende des Textes, Videoclip d).

Auch aus eigener Erfahrung mit dem Baren darf ich sagen, dass ihm am ehesten ein klassischer europäischer Reiber entsprochen hätte, obwohl dieser nicht die Präzision des Andrucks erzielt haben dürfte. Der zum Färben dienende Druckballen des 16/17. Jahrhunderts dürfte – wenn er zum Drucken benutzt worden wäre – am ehesten ein Überwischen, aber kein kraftvolles punktuelles Aufdrücken des Papiers auf einen Druckstock ermöglicht haben. Jedoch – hätten die Jesuiten damals einen klassischen Reiber aus Europa mitgebracht, und hätten sie ihn mit den originalen Bezeichnungen sogar benannt, so hätten sie ihn sicher nicht mit dem Namen „Ballen“ bezeichnet, denn dieser Begriff war ja dem Ledertampon zugeordnet. Aber ob sie dies auch taten, das wissen wir nicht – vielleicht lag ihnen sprachlich der „Ballen“ ja näher!

Linguistisch lassen sich diese Vergleiche aufstellen:

Reiber (deutsch)rai ba  (im japanischen Sprachlaut)ライバ (in Katakana geschrieben)
Rasp (niederländisch)ra su paラスパ
Ralador (portugiesisch)ra ra do ruララドル
Frotador (spanisch)fu ro ta do ruフロタドル

Diese Worte tauchen jedoch nirgendwo im Japanischen auf, so dass vermutet werden muss, dass der klassische europäische Reiber aufgrund gänzlich anderer Phonetik jedenfalls nicht der Namensgeber für das damals neue japanische Reibedruckgerät „Baren“ gewesen sein kann.

Wenn auch eine äußere Ähnlichkeit zum Reiber aus heutiger Sicht besteht, so ist jedoch die Machart des Baren eine ganz andere. Zudem ist es fraglich, ob die Jesuiten das zu dieser Zeit schon lange „überholte“ Reibedruckwerkzeug nach Japan mitbrachten. Sie haben ja dessen Wortlaut offenbar bis dato auch nicht als Fachbezeichnung phonetisch „hinterlassen“.

Geschichtliche Enthüllungen

Hinzu kommt aber noch eine gänzlich andere, nämlich religionsideologische Problematik: Die erst Ende des 16. Jahrhunderts nach Japan gebrachte Druckpresse führte zwar zum Aufleben einer Druck„szene“, die jedoch auf christlich-religiöse Texte beschränkt war und sich parallel zur Ausweitung des Christentums im Westen Japans entwickelte. Die katholischen Jesuiten machten sich aber – im Gegensatz zu den nur am Handel interessierten protestantischen Holländern – zunehmend unbeliebt durch ihre Missionstätigkeiten 13. Bereits 1587 war ein Verbot des Christentums verkündet worden, das „Pater-Ausweisungsedikt“ (伴天連追放令), aber erst durch den Reichseiniger Tokugawa Ieyasu kam es 1614 zur strikten Verfolgung der Christen – unter Androhung von Hinrichtung 14, 15.

Verständlich wird dies besonders durch das Bekanntwerden des Vertrages von Tordesillas. Der englische Navigator William Adams (später japanisch 三浦 按針 Miura Anjin) hatte an Bord eines niederländischen Schiffes im Jahre 1600 Südjapan erreicht und durch seine Fachkenntnisse das Vertrauen Tokugawas erlangt. Den Portugiesen und allgemein dem Katholizismus gegenüber war Adams misstrauisch und so informierte er nun den Shogun darüber, was die missionierenden Jesuiten nämlich bisher verschwiegen hatten: Im Jahre 1494 hatte der Papst den Portugiesen die östliche halbe Welt – einschließlich Japans – übereignet, nämlich im Vertrag von Tordesillas 16.

Neben dem Erstarken einer christlich-katholischen Ideologie, die sich gravierend von Shintō und Buddhismus unterscheidet, fühlte sich Tokugawa Ieyasu – gut nachvollziehbar – nun auch noch durch die Möglichkeit einer Annexion durch Portugal und Spanien bedroht, die bis 1640 in Personalunion verbunden waren 15. 1639 wurden letztendlich alle Ausländer – mit Ausnahme der Chinesen und calvinistisch-protestantischen Holländer – des Landes verwiesen 1. Das japanische Inselreich wurde bis in das 19. Jahrhundert hinein abgeriegelt (鎖国政策, sakoku seisaku) und entging so schließlich erfolgreich der Kolonialisierung.

Es stellt sich daher im Blick auf diese Geschichte die Frage, inwieweit überhaupt nach 1614 die von den verschmähten Jesuiten eingeführte Drucktechnik samt ihrer Werkzeuge aufgrund des Verbotes des Christentums in toto als Begriffe noch gesellschaftlich „akzeptiert“ oder gar auch schon verboten waren oder aus Furcht nicht mehr benutzt wurden. Auch wenn sich viele ausländische Begriffe in die japanische Sprache integriert hatten, so waren sie doch mehr an alltägliche Gegenstände gebunden und nicht an die religiös überfrachtete Drucktechnik mit ihren nunmehr verbotenen Inhalten.

Historisch wichtig ist noch, dass die ersten Ukiyo-e („Bilder der fließenden, vergänglichen Welt“) auch erst um 1660 als Schwarz-Weiß-Schnitte aufkamen 6,17, so dass seit der Ausweisung der Ausländer wiederum Jahrzehnte vergangen waren und etwa 90 Jahre seit der Einführung von „Ballen“ nach Japan. Erst Ende des 17.  bis Mitte des 18. Jahrhunderts, also mit dem Aufkommen des Farbholzschnittes mittels mehrerer Druckplatten und dem dafür benötigten dickeren Papier (washi), dürfte nämlich erst das neue Druckreibewerkzeug „Baren“ erfunden worden bzw. entstanden sein.

Phonetischer Zufall, praktische Wahrscheinlichkeit – ein Geheimnis?

Dieses Bündel an Tatsachen und die zwar dem „Ballen“ ähnliche Namensgebung – obgleich doch optisch so differente Werkzeuge – lassen vielmehr aufgrund der praktischen Verwendung des Baren als echter Druckreiber eher den Schluss zu, dass das seit mindestens 1400 u. Z. in der japanischen Sprache gleichnamig bezeichnete Reibe- und Schrubbwerkzeug, eine Wurzelbürste, hergestellt aus der Wurzel von „Baren“ genannten Irisgewächsen, als Namensgeber doch naheliegender ist als das Druckwerkzeug deutschsprachiger Abstammung. Die absolute Beantwortung dieser Frage bleibt gewiss offen, Hinterfragungen dürfen aber gestellt werden.

Diente tatsächlich die phonetische Nähe „Ballen“/„Baren“ der Genese der Begriffsbezeichnung? Zudem, wo doch das Fremdwort „Ballen“ dem ausländischen Ledertampon, einem vage ähnlichen Werkzeug für das durch die Jesuiten eingeführte Pressendrucken, bereits zugeordnet war – damals zwar neu und möglicherweise deshalb attraktiv klanglich, aber offenbar vermutlich bald bereits verboten war? Oder liegt es nicht einfach sprachlich viel näher, die „Baren“ genannte Bürste – in jedem Haushalt damals wohl vorhanden – gerade auf deren praktische Anwendung hin als Reibewerkzeug zum Namensgeber anzunehmen?

Bemerkenswert ist jedenfalls, dass der Handreiber „Baren“ zumeist im rein japanischen Silbenalphabet Hiragana geschrieben wird, nur gelegentlich auch als „ba/ren“ mit den chinesischen Schriftzeichen der 1000 Jahre zuvor übernommenen, alten Druckwerkzeuge【馬楝・馬連】. Und auch im Sprachwörterbuch „Dai genkai“ von 1875 sind keine Kanji für den Begriff „Baren“ notiert – also „Baren“ nur in Hiragana geschrieben. Ist dies etwa auch ein Hinweis auf seine rein japanische Entstehungsgeschichte – losgelöst von den alten, ganz anders aufgebauten, daher auch mit Kanji geschriebenen Druckwerkzeugen aus China und Korea?

Mit der zunehmenden Popularität der großartigen, mehrfarbigen Holzschnitte wurde dieses neue Druckgerät schließlich mit der Bezeichnung „Baren“ recht schnell in ganz Japan und später der Welt bekannt. Jedoch, trotz aller vermuteten Möglichkeiten, muss man abschließend sich im Klaren sein, dass die wirkliche sprachliche Ableitung des Begriffes „Baren“, ebenso wie die Entstehungsgeschichte, für dieses kleine und feine japanische Handdruckgerät selbst wohl für immer ein Mysterium bleiben wird – sein Geheimnis.


Danksagung:

Ganz besonders meinem Freund KENICHIRO TAKAHASHI für die japanische Recherche; Frau Prof. MAMI HILD, Kyoto, Japan, für die persönliche Kommunikation und die Überlassung einer historischen japanischen Illustration.


Literatur:

1 ALTHAUS, Karin – Druckgrafik/Handbuch der künstlerischen Drucktechniken, Zürich 2008
2 DOHMEN, Walter – Der Tiefdruck, Köln 1986
3 Deutsches Ärzteblatt 2003; 100 46): A-3031/B-2517/C-2359
4 HABARTA, Gerhard – Grafik. Handbuch vervielfältigende Kunst, Norderstedt (BoD) 2015
5 HILD, Mami – „Unintentional Intercultural Collaboration in the 17th Century: German Ballen, Japanese Baren and Portuguese Missionaries“, ACM Digital Library, 2014, (Association for Computing Machineryを公開しています。Copyright c 2014 ACM, Inc.)
5a HILD, Mami – persönliche Kommunikation, bezüglich neuerer Angaben aus Druckexperimenten mit historischen Druckplatten, vorgestellt im Rahmen eines Vortrages in 2016, als revidierte Fassung ihres Originalartikels aus 2014
6 KOSCHATZKY, Walter – Die Kunst der Druckgrafik, Salzburg 1972
7 WIKIPEDIA (JP) – 学名: Iris lactea var. chinensis – 日本名 : ネジアヤメ – 漢語別名: 馬蓮 (バレン, Ma Lin, malan flower)/アヤメ科 (アヤメか Iridaceae)
8 www.mittelalter-lexikon.de – „Einblattdruck“
9 WIKIPEDIA (DE) – „Reiberdruck“
10 www.fachbegriffe-antiquariat.de – „Reibedruck“
11 WIKIPEDIA (DE) – „Blockdruck“
12 WIKIPEDIA (DE) – „Einblattholzschnitt“
13 WIKIPEDIA (DE) – „Geschichte des Buchdrucks“ / Kapitel: Druckvorgang
14 WIKIPEDIA (DE) – „Epoche des Namban-Handels“
15 WIKIPEDIA (DE) – „William Adams“
16 WIKIPEDIA (DE) – „Vertrag von Tordesillas“
17 WOLFSTURM, Hans-Jürgen und BURKHARDT, Hermann – Hochdruck, Stuttgart 2007
18 ZIMMER, Klaus – Druckgrafik, G.W. Leibniz Bibliothek, Hameln 2008